Ein Projekt wie dieses mit Aufträgen an zwei Komponisten beginnt damit, daß wir die Komponisten bitten, ein Exposé zu den künftigen Stücken zu schreiben. Selbstverständlich ändert sich während der Arbeit noch Vieles, aus Gründen der Dokumentation finden Sie hier aber auch noch die Planungen der beiden Komponisten.

Konzeption einer Komposition für Klaviertrio für das elole-Klaviertrio Dresden

Instrumentarium und Klangraum

Vor dem Hintergrund der Besetzung Klaviertrio in ihrer klassisch tradierten Bedeutung arbeite ich vor allem mit den konkreten klanglichen Gegebenheiten des Instrumentariums.

Die grundsätzlichen Überlegungen zum Klaviertrio beginnen mit der Feststellung, daß es aus 3 Saiteninstrumenten besteht, die sich in 2 Streichinstrumente und 1 Anschlagsinstrument teilen. Die zwei Streichinstrumente erzeugen bei konventioneller Spielweise durch das Streichen mit dem Bogen 1 bis 2 Töne gleichzeitig und können diese durch Bogenwechsel beliebig lange halten. Die typischen Klangeigenschaften des vieltönigen Anschlagsinstruments Klavier sind Impuls und Ausklingen der Saite.

Die Streicher selbst unterscheiden sich nochmals in Tonumfang, Klang, Volumen und in der Spieltechnik.

Wichtig für die geplante Arbeit sind die Möglichkeiten einer klanglichen und spieltechnischen Annäherung zwischen den Instrumenten. Ein decrescendo der Streicher auf einem Ton beispielsweise kann schon starke Verwandtschaft zum ausklingenden Klavierklang aufweisen. Dem Anschlagscharakter selbst sind fp-Artikulationen und echte Impulse wie Pizzicati und Battuti nahe. Beim Klavier können Töne durch Tremoli auf den Tasten verlängert und so in die Nähe des Streicherklangs gerückt werden. Tatsächlich gehaltene Klänge entstehen durch Wischen und Reiben oder durch die Verwendung von Bogenhaaren oder eines E-Bows im Klavier direkt auf den pedalisierten Saiten.

Diese Überlegungen gelten in ähnlicher Weise auch für den Bereich der Geräusche.

Struktur und Form

Der strukturelle Grundgedanke des Stückes ist der einer anhaltend fließenden Vorwärts- und darauf folgenden Rückwärtsbewegung. Solche Wellenbewegungen werden in verschiedenen Ebenen gleichzeitig, aber in unterschiedlicher Stärke und Geschwindigkeit ablaufen.

Zum einen ereignen sich die Wellen in deutlich wahrnehmbaren Hin-und-Herbewegungen innerhalb der klassischen Parameter Tonhöhe (hoch-tief), Dauer (kurz-lang), Lautstärke (laut-leise), Obertonstruktur (Ton-Geräusch), Klangfarben (hell-dunkel), Satz (dicht-locker).

In anderen Fällen kann der Prozeß auch eine Kreisbewegung beschreiben, in dem Ausgangs- und Zielpunkt auf einer Ebene zusammenfallen. Wenn sich ein harmonischer Prozeß beispielsweise von einem einzelnen Ton über Zweitonintervalle und sich vergrößernde Akkorde bis hin zu einem einheitlichen, clusterartigen Feld bewegt, so ist die Verwandtschaft der monochrom wirkenden Fläche zum Einzelton evident. Das Rückwärtsgehen könnte hier im Ausdünnen der Flächen zu kleinen Clustern in gespreizten Lagen geschehen, ohne distinkte Intervalle zu benutzen.

Die wichtigste formale Gliederungsebene wird die Besetzungsgröße sein. Ausgehend von den klanglichen und spieltechnischen Unterschieden und Ähnlichkeiten der Instrumente werden ganze Teile des Stücks dadurch charakterisiert sein, daß sie Trio, Duo oder Solo sind.

Wellenförmige Prozesse werden auch hier eine wichtige Rolle spielen, in dem die Besetzungsgrößen gleichmäßig größer und kleiner werden (1-2-3-2-1…). Darüber hinaus wird es Wiederholungen der Instrumentenanzahl bei wechselnder konkreter Besetzung geben (Z.B.: Trio - Klv+Vl - Vc - Trio - Vl+Vc - Klav - …)

Eine weitere prozessuale Variante wäre beispielsweise das immer häufigere Auftreten von Trioabschnitten innerhalb einer Folge von auch unregelmäßigen Duo- und Solo-Passagen (2-1-1-2-1-3-2-1-2-1-3-2-2-1-3-1-2-3-1-3-2-2-3-…

Parallel dazu werden Prozesse innerhalb gleicher Besetzungstypen ablaufen. Beispielsweise wird die Dauer jeder auftretenden Solopassage immer größer und die Soli werden sich auf diese Weise nach und nach vom kurzen Einwurf über eine "Solo-Kadenz" bis zum eigenständigen Abschnitt entwickeln.

Abschließende Überlegung

Die Dauer des Stücks wird voraussichtlich zwischen 15 - 30 Minuten liegen.

Die verschachtelten Wellen-Prozesse und Besetzungsgrößenraster fungieren als Gerüst.

An exponierten Stellen werden einzelne Verläufe in den Vordergrund rücken und die Oberfläche der Musik dominieren, beispielsweise, wenn sich in einer Solopassage die Tonhöhen deutlich von oben nach unten und wieder zurück bewegen oder sich das ganze Trio linear verlangsamt und wieder beschleunigt.

Oft werden die Prozesse aber auch kaum wahrnehmbar im Hintergrund ablaufen, beispielsweise, wenn sich in einer an der Oberfläche blockhaft springenden, mit Pausen durchsetzten Passage der Gesamtklang langsam und unmerklich vom Ton zum Geräusch verschiebt. Auch eine Bewegung auf der Ebene von Satztypen (homophon-polyphon-punktuell) kann unmerklich von statten gehen, wenn sich zum Beispiel im Vordergrund ein prägnanter harmonischer und rhythmischer Stillstand ereignet.

Die Wellen-Prozesse sind also nicht thematisch im Sinne eines abgeschlossenen Gedankens oder gar einer initialisierenden Gestalt. Sie werden nicht in Form einer klassischen oder seriellen Durchführung "vorgeführt" oder "verarbeitet". Sie stellen vielmehr ein strukturelles Basisnetz dar, von dem aus sich ganz unterschiedliche Charaktere und Verläufe ausbilden können.

Die Überlagerung der unterschiedlich gewellten Ebenen erzeugt Kreuzungspunkte und strukturelle Interferenzen, Anziehungs- und Abstoßungskräfte, Verstärkungen und Auslöschungen, sanften Fluß und Kurzschlüsse. Dies alles wird dazu führen, daß die Musik eine Energie und eine Eigendynamik entwickelt, der ich im Komponieren folgen werde.

Stefan Streich Berlin, im Sommer 2007