Erschienen in den Dresdner Neusten Nachrichten am 8. September 2003
Eine Rezension mit der Frage "Was ist Musik" zu beginnen, verleitet wahrscheinlich einen Gutteil der Leser dazu, zum Sportteil überzugehen. Und dennoch: Hier ist die Frage berechtigt, denn mit voller Absicht kam man zu keiner anderen Frage mit den ersten Tönen des Konzertes des elole-Trios im Festspielhaus Hellerau. Das Trio ist eines der Kammerensembles in Dresden, die sich auf Experimentelles und Zeitgenössisches spezialisiert haben und einen ganz eigenen, bemerkenswerten Weg gehen.
Das Programm bot nur drei Stücke, alle in ihrer spezifischen Weise Grenzfälle der Musik: Michael Maierhofs "Sugar 1" löst althergebrachte Kompositionsweisen auf, indem er konsequent radikale, neu ge-/erfundene Klangfarben in einen strukturellen Raum stellt. Obwohl die Glissandi schon beim Hinschauen wehtun, erzeugt der reine Klang im Raum des Festspielhauses sofort etwas Neues, Un-Gefühltes fernab von Provokation oder Brutalität. Vielleicht sind es die Atempausen, die rhythmisch-archaischen Pulsierungen, die dem Stück eine Atmosphäre zurückgeben, die es eigentlich gar nicht haben dürfte, da dessen Ergebnis, wäre es nicht von der Zeitspannung der Organisation getragen, nahe an Mossolovs "Eisengießerei" in einer Klaviertriofassung wäre. Zeitempfinden/Klangempfinden durfte sich in einer zweiten Aufführung des Stückes im selben Konzert unter anderen Raumbedingungen dann erneut entfalten.
Ein Anti-Stück folgte, Stefan Streichs "Jeu de Chiffres" 2 wollte sich dem Musikalischen bewusst entziehen, dieses Experiment ging gehörig schief, da Streich zwar wunderbare Konzeptkunst formuliert (im Programmheft), das Ergebnis aber die Darstellung des In-Frage-Nehmens der Musik selbst nicht durchhält, sondern selbst wieder zu Musik (noch dazu einer sehr brüchig-altbackenen) wird.
Großereignis des Konzertes war eine Realisation der "Variations III" von John Cage. Dem elole-Trio gelang es, durch eine der Arbeitsweise von Cage angenäherte, "offene" Ausdeutung der Vorlage eine Realisation zu schaffen, die höchste Sinnlichkeit besaß. Und das, obwohl (oder wegen?) man im Publikum einbezogen wurde und selbst die Konzertpause ins Stück integriert war. Cage hätte es sicher gefreut, dass im letzten Drittel des Stücks das Interpretenpublikum die Zeitstruktur leicht "verschleppte" und somit noch mehr ungeplante Ereignisse Einzug hielten. Schön, dass man sich selbst beim Zuhören/Mitspielen nicht mehr um sich selbst, sondern nur noch um das Erzeugen der Musik kümmert. Cage führt zum Wesentlichen. Nicht nur für diesen Aspekt ist man dem Trio zur Dankbarkeit verpflichtet, sondern auch für eine durchweg höchst anspruchsvolle, intensive Interpretation des Abends.
Alexander Keuk