Stücke von drei Komponisten stehen heute auf dem Programm, die an der Oberfläche gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Bei allen ist die Pause konstitutives Element ihrer Musik. In allen drei Stücken gibt es in den einzelnen Stimmen oder/und im ganzen Ensemble Schnitte zwischen Spielen und nicht Spielen. Hinter diesen Ähnlichkeiten verborgen sind aber sehr entgegengesetzte Herangehensweisen an das Komponieren und damit an die Frage, was Musik ist - oder sein könnte.

Michael Maierhof zielt am ehesten auf etwas wie klassische Form. Die Klänge, die er uns den Instrumenten abgewinnen läßt, sind von herkömmlichem Spiel extrem weit entfernt, sie brauchen die sie umgebende Stille - und gerade durch ihr Nachklingen in der Leere fügt sich ein über das ganze Stück gehender Spannungsbogen zusammen. Die in sich stets variablen Klänge werden zu statischen Blöcken geformt, die ihre Dynamik wiederum durch die Zusammenstellung zu einem Stück bekommen.

Ganz anders Stefan Streich: Er benutzt vertraute Klänge, Elemente von denen er vermutet, “daß sie für das Zustandekommen von Musik verantwortlich sind”. Ist es bei Maierhof eine Dramaturgie der Klänge sind es hier die Klänge selber, die uns an Vertrautes erinnern und den Rahmen schaffen, auch Ungewohntes zu akzeptieren. So unternimmt Streich den Versuch, wie weit sich die Beziehungen dieser Klänge untereinander lockern lassen, daß sie immer noch nicht als beliebige Abfolge, sondern als sinnvoll aufeinander bezogen erscheinen. Für diesen Versuch sind die Klänge in ihrer genauen Bestimmung nicht wichtig, folgerichtig ist die Komposition Jeu de Chiffres ein Computerprogramm, das über Zufallsoperationen “unendlich” viele Versionen erstellen kann. Oder besser: Aus der natürlich doch endlichen Anzahl von Versionen eine für einen bestimmten Spieler auswählt.

Wenn ein Baum umfällt und keiner ist dabei, gibt es dann einen Knall? Nein! Physikalisch passiert nichts anderes, als wenn jemand einen Knall hören kann, aber er passiert erst im Ohr, bis dahin sind es nur heftige Druckwellen in der Luft. Wenn Klänge stattfinden und niemand hört sie, kann es dann Musik sein? Nein, nur ein Hörer/eine Hörerin kann sie zu Musik machen. Wenn es also Klänge gibt und Zuhörer? Dann ist es Musik! Das ungefähr ist die Anforderung, die John Cage an uns als Hörer/Hörerinnen stellt. Da wir stets von Klängen umgeben sind, haben wir immer Musik um uns - und es liegt nur an uns, sie zu hören oder zu überhören. Was klingt und in welcher Reihenfolge es erklingt, ist nicht egal. Das, was in der europäischen Musikgeschichte stets versucht wurde, nämlich Beziehungen zwischen Klängen herzustellen, ist der Weg, uns vom eigentlichen Hören am stärksten abzuhalten, denn sobald es sinnvolle Folgen von Klängen gibt, gibt es andere Klänge, die das stören können. Vielleicht aber hätten wir mehr davon, einem hustenden Publikum zuzuhören, als der gleichzeitig stattfindenden Beethoven-Sinfonie? Gerade in der gezielt erstellten Beliebigkeit liegt also die Chance zu echtem Musikhören.

Alles läßt sich zu Musik formen (Maierhof), bestimmte Klänge sind so sehr Musik, daß sich die Form viel weiter spreizen läßt als gedacht (Streich), wir sind ohnehin von Musik umgeben, wenn wir nur bereit sind, sie zu hören (Cage). Wir wünschen eine frohe Entdeckungsreise!

(Matthias Lorenz)