Kritik zum Konzert am 28. November 2008


Erschienen in den Dresdner Neusten Nachrichten am 2. Dezember 2008


Der Reiz der Möglichkeiten

elole-Klaviertrio im riesa efau

Mit der Relativitätstheorie musste die Annahme einer absoluten Zeit aufgegeben werden. Jeder Beobachter hat seine eigene Zeit. "Eigenzeit" war am Freitagabend das Konzertthema im Dachsaal des riesa efau. Das Thema wurde konsequent umgesetzt. Keine der ausgewählten Kompositionen hatte eine absolute Zeit, jeder der Interpreten des elole-Klaviertrios musste jeweils ein eigenes Zeitmaß finden. Auch sonst überließen die Partituren den Aufführenden zahlreiche Freiheiten. Das uraufgeführte "Spiel: seltsam attraktiv" von Michael Flade, das in vier Möglichkeiten in wechselnder Besetzung präsentiert wurde, verrät im Titel einen zweiten Schwerpunkt.

So wie in einem Spiel zwar die Spielregeln festgelegt sind, nicht aber das konkrete Spielgeschehen, so hatte Michael Flade in seiner Partitur zahlreiche Regeln für die Interpreten aufgestellt, nicht aber den konkreten Ablauf. Die Spieler ziehen von Klangfeld zu Klangfeld. Die zugehörige Live-Elektronik nahm nach von Michael Flade erstellten Regeln Töne und Geräusche aus dem Konzertsaal auf und verarbeitete sie nach weiteren Regeln. Auch hier war das letztendliche Ergebnis nicht vorbestimmt. Das Hören erinnert an den Blick eines Physikers ins Universum: bemerkenswerte Phänomene, an deren Schönheit man sich berauschen kann, doch die grundlegende Regel ohne Partitur zu finden, ist aussichtslos.

Das gilt auch, in unterschiedlichen Maß, für die übrigen Werke des Abends. Morton Feldman verzichtete mit "Durations 2" (1960) auf eine genaue Notierung der Dauern der Klänge. Christian Wolff gibt mit "Duo for Violinist and Pianist" (1961) und "Tilbury 4" (1970/1993) nicht zu viele Töne vor und überlässt es seinen Regeln und den Interpreten, daraus Musik zu machen. Beat Furrer mit "Retour an Dich" (1986) und Juliane Klein mit "Aus der Wand die Rinne (1/2/10)" (1996/2006) haben bis auf die genaue zeitliche Koordination alles ausnotiert. Bei Juliane Klein wurde Michael Flade auch zum Interpreten, hat er doch ihre Notation des elektronischen Teils, die kein Klangmaterial vorgibt, in Musik verwandelt.

Die konsequente Umsetzung des Konzertthemas wurde im Laufe des Konzerts leider etwas zu seinem Handicap. Die Spannung eines Spiels rührt von seinem Ziel her. Jeder Spieler versucht, Punkte zu sammeln oder möglichst schnell voranzukommen. Ein Konzert, in dem ausschließlich Kompositionen erklingen, in denen Klang an Klang gereiht wird, in dem kein Klang aus irgendeiner Dramaturgie heraus wichtiger ist als ein anderer, verliert bald seine Spannung. Jeder Ton, jedes Geräusch nimmt dem vorhergehenden Klang die Bedeutung, nur um seinerseits wieder vom nächsten Klang ins Nichts gestoßen zu werden. So fällt ein verlorener Klang neben den anderen, von Anfang an zum Untergang bestimmt. Es ist der Mut des elole-Klaviertrios anzuerkennen, sich nicht auf eine zu spielende Version in den Proben geeinigt zu haben, sondern sich für das Konzert alle in den Partituren vorgesehenen Möglichkeiten offenzuhalten. Hier zeigt sich auch ihr Verständnis einer lebendigen Musik. Nicht die endgültige Aufführung wird angestrebt, nicht das Ideal, sondern eine letztlich am jeweiligen Abend von Komponist, Interpreten und Hörern gemeinsam erarbeitete Fassung. So stößt man beim Konzertieren von offenen Partituren mit höherer Wahrscheinlichkeit auch auf weniger interessante Versionen. Bei Morton Feldman und Michael Flade gelang das Wagnis. "Durations 2" war subtil ausgearbeitet, Feldmans tastende, zarte Klänge leuchteten. Michael Flade war es gelungen, für "Spiel: seltsam attraktiv" die Regeln so zu formulieren, dass das Stück gleichzeitig offen und in sich konsistent blieb. Gerade die dritte Version, die einzige, in der das ganze Trio spielte, vermochte dank ihrer Dichte zu überzeugen. Die Komposition von Juliane Klein fiel dagegen formal etwas auseinander. Beat Furrers "Retour an Dich" war von sich aus nicht allzu ideenreich. Christian Wolffs Stücke hatten eine leichte Tendenz zur Beliebigkeit. Für sie konnte selbst ein so versiertes Ensemble wie elole keine Referenz finden. Die Auslotung der Möglichkeiten machte den Reiz des Abends aus.

Patrick Beck